Ein halbes Jahr 2021 liegt nun hinter uns. Zeit für meinen mitunter leicht provokanten Mutmacher zum Thema Jahresrückblicke und Jahresziele. Bisschen spät? Egal, denn das geht zum Glück das ganze Jahr.
Ich oute mich jetzt. Jahresrückblicke nerven mich, Ausblicke und Jahresziele genauso. Halbjahresausblicke übrigens auch.
Anfang Januar war mein News Feed voll davon. Wunderbare Jahresrückblicke verknüpft mit Jahreszielen für das neue Jahr. Nun, im Juni, ein erstes Zwischenfazit. Beeindruckende Erlebnisse, bahnbrechende Erkenntnisse, Worte voller Dankbarkeit. Daneben Webinar Angebote, damit auch die Übriggebliebenen-Ziellosen-Tagträumer*innen die kurzfristige Chance bekommen, nicht mehr umherzuirren, es allen anderen gleich zu machen und eigene Ziele mit Leichtigkeit zu definieren.
Mein erster Gedanke – „Toll Laura, keinen Beitrag vorbereitet wie alle anderen“. Ich habe dann tatsächlich überlegt, das noch schnell zu machen! Habe sogar schon angefangen, loszuschreiben. Und dann kam – Gott sei Dank! – die Erkenntnis, dass ich das gerade nur mache, weil es alle machen. Für mich hingegen fühlte es sich komplett überflüssig an.
Bin ich die Einzige oder outen sich noch mehr?
Wir sind im dauerhaften Vergleich mit anderen
Ich beobachte, dass wir gerne in einer Reihe marschieren, mit gleicher Uniform, dauernd im Vergleich mit anderen und damit, ob wir Schritt halten können. Das geht für mich ganz klar auf Kosten individueller Natürlichkeit. Und die ist es, die mir Mehrwert bringt.
Was ist der Motivator, kurz vor den Weihnachtsferien noch einen Rückblick zu „produzieren“ und Anfang Januar eine Liste von Jahreszielen mit dem Netzwerk zu teilen? Es hat sich mir noch nicht erschlossen.
Kannst du es mir sagen?
Positive Schönmalerei und Dramatik verkaufen sich gut
Und warum liest sich eigentlich fast alles so toll? Gut, mag an der Blase liegen, in der ich mich täglich befinde. Super, wenn wir Schwieriges durch die positive Brille sehen können, mag ich. Und ich sehe auch, dass positive Energie anderen Menschen guttut! Und trotzdem wächst in mir das Gefühl, dass es eine positive Schönmalerei geworden ist, die wir da veranstalten.
Hand aufs Herz, 2020 war doch für Viele echt ungemütlich. Die ungemütlichen Dinge, die womöglich noch entmutigen, sind nicht chic genug und meistens beschämend – wenn nicht durch eine super Story medienwirksam und dramatisch genug dargestellt.
Für mich sind es auch die ungemütlichen Dinge, die dazu gehören, uns sichtbar werden lassen, andere mutiger machen und uns miteinander verbinden.
Wie wäre es mit weniger Blabla?
Das ist es, was mich triggert und den Rebell in mir zum Leben erweckt. Mir fehlt Raum für Individualität, Verletzlichkeit und weniger Blabla.
Und weil ich auch eine Liebe bin und es so allein nicht stehen lassen kann und möchte: es gibt wunderbare Rückblicke und tolle Ausblicke, die andere motivieren und Mehrwert generieren. Ich möchte eigentlich nur verstehen, wieso es vielen Menschen wichtig ist, diese Beiträge zu teilen. Und ich möchte meine Stimme für Menschen erheben, die es nur machen, weil es alle machen! Geht auch ohne, ist egal.
Reflexion und Ziele sind Alltag, kein einjähriges Kalender-Highlight
Wie kann das eigentlich ein Coach sagen? Meine Aufgabe sollte es sein, Menschen dazu zu ermutigen, zu reflektieren und einen Fahrplan für die Zukunft zu entwickeln. Und das Ganze über Resonanz, nicht Dissonanz. Stimmt! Und das ist kein Widerspruch. Denn alles, was Energie ist, ist Resonanz. Nicht nur das, was schön und passend ist, das führt bei mir sehr schnell auch zu Dissonanz wie du siehst.
Viele Menschen brauchen Ziele und ganz konkret auch Jahresziele. Auch solche, die kurzfristig messbar sind. Und Reflexion ist elementar wichtig, damit wir uns entwickeln und wachsen können. Das möchte ich nicht in Frage stellen.
Für mich ist dies jedoch kein Anlass für ein selbstwirksames, einjähriges Kalender-Highlight, sondern vielmehr etwas, das ich in meinen Alltag integrieren und um langfristige Visionen (das, was länger dauert als 1 Jahr) ergänzen möchte. Warum Jahresziele? Warum nicht Lebensvisionen, Tagesmissionen, Monatsweisheiten,…wie auch immer.
Zum Abschuss freigegeben!
Gerade fühle ich mich wie ein nacktes Wesen, welches zum Abschuss freigegeben ist. Verstehe ich, denn ich bin ja genauso uniformiert mitgelaufen. War bisher kein Stück offener, ehrlicher, klarer und einfallsreicher.
Vor einem Jahr habe ich selbst im Januar meinen Rückblick geteilt. Wieso? Zum einen, weil ich in meinem Kalender geschrieben hatte, dass ich das jetzt auch machen muss – logo, der Vergleich mit anderen Solo-Selbstständigen hatte mir gelehrt, dass das wichtig ist! Zum anderen wollte ich tatsächlich einen Mehrwert schaffen und Menschen aus meinem Netzwerk davon berichten, wie genial und auch schwer es sein kann, das alte Leben loszulassen und ein neues Kapitel zu schreiben.
Dabei habe ich mich an Menschen gewendet, die selbst vor der Frage standen, wie sie Veränderung angehen wollen, in dem Wissen, dass diese Frage mir innerhalb eines Jahres unglaublich oft gestellt wurde. Für den ein oder anderen mag es sich aber auch gelesen haben wie ein überflüssiger „Was-Ich-Nicht-Alles-Gelernt-Habe-In-Diesem-Unglaublichen-Jahr“-Beitrag. Fair enough. Beiträge bringen NIEMALS allen Lesern einen Nutzen und müssen das auch nicht.
Diese Jahresrückblick und Jahresziele Geschichte hat mir aber deutlich vor Augen geführt, dass Social Media voll von Mitläufern steckt, die das tun, was andere auch tun. Mir fehlen ehrliche Profile, Tiefe, Wahrheit und Klarheit. Und das ist der Grund, warum ich als Coach Menschen unterstütze, die Ja zu sich sagen möchten, um ehrlich zu inspirieren und endlich egal zu allen anderen sagen zu können!
Was für Gedanken löst mein kurzer Beitrag in dir aus?